Dating-Life einer Bisexuellen

Es ist schon witzig, was man über die Jahre an Erfahrungen sammelt und dabei lernt, wenn man Männer und Frauen trifft.
Die bisexuelle Autorin sitzt nachdenklich an einer Wand lehnend. Das Fenster wirft Schatten und Licht auf ihren Körper.

Folgend werden die persönlichen Erfahrungen und Meinungen von Nadine Primo wiedergegeben...

Es ist schon witzig, was man über die Jahre an Erfahrungen sammelt und dabei lernt, wenn man Männer und Frauen trifft. Irgendwann kann man beide Seiten verstehen. Zumindest ist es bei mir so. Ja Männer, ihr habt mein Mitleid. Frauen daten ist wirklich kein leichtes. Vor allem keine (eigentlich) Hetero-Frauen – da gebe ich euch Recht. Natürlich gibt es auch hier wieder Ausnahmen, denn Ausnahmen bestätigen ja bekanntlich die Regel. 

Regeln, die scheint es weiterhin im Überfluss zu geben. Die Eine hält sich dran, der Andere nicht. Frauen präsentieren ihre beste Seite und warten darauf von einem Mann umworben zu werden. Selbst auf Tinder. Männer schreiben zuerst, Frauen werden angeschrieben. Ich muss zugeben, in den meisten Fällen habe ich auch den Mann die Unterhaltung beginnen lassen. Im Nachtleben waren es schließlich auch meistens die Männer, die den ersten Schritt gemacht haben und warum sollte es hier anders sein?!

"Irgendwie sind die konservativen Verhaltensmuster ja doch noch in uns verankert."

In meiner Familie ist das so. Von frühester Kindheit an wurde mir das Bild vermittelt, dass der Mann als Ernährer und „Vorstand“ des Hauses auf meine Mutter, als auch auf meine Schwester und mich aufgepasst hat. Die Hausfrauenrolle meiner Mutter habe ich daher lange Zeit als unterwürfig empfunden und mir wurde das Bild vermittelt, bestimmt auch aufgrund des kleinstädtischen Umfelds, dass die Frau sich eher passiv, zurückhaltend beziehungsweise nicht zu fordernd oder direkt zu geben hat. 



Natürlich überträgt man die erlernten Rollenbilder auf seine eigenen späteren romantischen Beziehungen und sein Liebesleben. Auch wenn ich stets das Gefühl verspürt habe mehr zu wollen und das auch einfach auszusprechen, so habe ich doch letztlich oftmals innegehalten und abgewartet. Mittlerweile ist das nicht mehr so. Seit einigen Jahren nicht mehr. Irgendwann war ich es leid. In der Kleinstadt ist das nicht so einfach. Da muss man schließlich immer noch zusätzlich drauf achten, was die Nachbarn über einen denken und vor allem erwarten. Mir ist bewusst, dass das nicht ausschließlich ein Phänomen von Kleinstädten ist. Die konservative Vorstellung ist in der Generation Y allgemein noch verankert, da wir alle als Kinder der Nachkriegs-/Wirtschaftswundergeneration ein zum größten Teil „traditionelles“ Familienbild vermittelt bekommen haben. 

Aber auch in der (nicht vorhandenen) Sexualerziehung bzw. im Aufklärungsunterricht bekommen wir kein wirkliches Bewusstsein für unsere Weiblichkeit, unser Frausein mit auf den Weg. Aufklärungsunterricht trifft es witzigerweise echt gut.

"Man erfährt, wie Kinder entstehen und wie man es verhindert, ebenso wie Krankheiten. Schlimme Krankheiten. Der Tod auf Raten. Sex ist grausam."

Nein. Versteht mich nicht falsch: Es ist unabdingbar über die Risiken und Übertragungswege, als auch über die Krankheiten selbst aufzuklären, aber es sollte nicht ausschließlich im Mittelpunkt stehen. 

Der G-Punkt wäre auch Mal eine schöne Sache. Oder ein gesundes Körperbewusstsein. Oder, oder, oder….

Ich schweife ab. Nachdem ich mich nun 3 Jahre mit Dating Apps wie Tinder und OkCupid auseinandergesetzt habe, muss ich sagen: Macht euch frei! Es ist so anstrengend, wenn man beobachtet wie die immer gleichen Mechanismen greifen und alles dadurch so unfassbar vorhersehbar ist. Es ist immer die gleiche Leier.

"Männer wollen vögeln, aber sind zu plump. Frauen wollen vögeln, aber sie sagen es erst gar nicht. Sie wollen umworben werden. "

Manche Männer checken das und tun es. Ermüdend jedoch zielführend. Wir Frauen denken, dass wir die Männer erobern lassen müssen. Ihr Männer denkt wir stehen ausschließlich auf Komplimente über unser Aussehen und sind allgemein eher konsumorientiert unterwegs (…weil eigentlich dumm?). 



Meine Lieblingskategorie Mann auf Tinder steht oberkörperfrei vorm Spiegel im Studio (Hantelbank im Hintergrund – natürlich… Ach ja, und Daumen hoch – Beste.); stolz am posen vorm (geleasten?) BMW/Mercedes/Audi und ist natürlich immer fett auf Tasche. 

"Klar doch. Nicht!"

Diese Männer fangen bereits vorm Match an mit dem Schwanzvergleich. Aber natürlich gibt es auch hier andere. Ich spreche von einer Kategorie. Ebenso gibt es auch bei Frauen wieder verschiedene Kategorien. Mir sind in den letzten Jahren auch ganz wunderbar aufgeschlossene, direkte und interessante Frauen begegnet, die mehr Eier in der Hose hatten als manch einer meiner ehemaligen Liebhaber. Ich liebe dieses Wort. Lieb-haber. Klingt so unschuldig - Ist es nicht. Paradox. Ach genau, deswegen mag ich es. Aber allgemein habe ich vor allem in der letzten Zeit nochmal deutlich gemerkt, wie schwer es eigentlich ist eine Frau zu treffen. Ich meine wirklich zu treffen. Anders als bei einem Mann. Das funktioniert ehrlich gesagt innerhalb weniger Stunden. Egal wann. Da müsste schon echt viel schief gehen. Natürlich kommt es auch hier wieder auf die Ansprüche an, womit ich nicht sagen will das ich keine habe. 

Ein Beispiel: Wenn ich ca. 10 neue Matches mit Frauen habe, schreibt durchschnittlich eine zuerst. Aktiv beginne ich vielleicht mit vieren die Unterhaltung. Davon antwortet mir höchstens eine und nachdem ich der mutigen Gesprächsinitiatorin auf ihre Nachricht ehrlich geantwortet habe um was es bei Tinder für mich geht, entpuppt diese sich zumeist als „bi-curious“/ „heteroflexibel“ und möchte einfach erstmal ein bisschen was wissen und vielleicht auch mal testen. Die übrigen fünf Matches wandern entweder immer weiter nach hinten oder irgendwann findet doch nochmal überraschend ein Wechsel, entweder auf meine oder ihre Initiative hin, statt. 
Das gleiche Beispiel mit 10 Männern würde jedoch anders aussehen. Überraschend – Nicht wirklich. Mindestens fünf schreiben mir recht schnell und durchschnittlich einem schreibe ich zuerst. Die fünf Initiatoren bekommen direkt meine Absicht serviert und realisieren spätestens dann (Wofür schreibt man eigentlich ne Bio?), dass ich sowieso nur sexuell verfügbar bin, da ich glücklich in einer offenen Beziehung mit einem Mann lebe. 

Zugegeben, das wirkt auf die meisten Männer eher anziehend. Es waren wirklich wenige, die darauf keinen Bock hatten oder Angst vor Eifersucht meines Partners. Dafür gab es immer mindestens zwei, die sich sofort durch ihre wirklich unfassbar dummen oder zuweilen respektlosen Antworten selbst ins Aus manövriert hatten. Ciao. Sag niemals was gegen den Mann an meiner Seite. Dadurch habe ich wiederum auch eine andere Ausgangsposition als Single-Frauen. Hier besteht schließlich die Möglichkeit einer romantischen Verbindung und das Umwerben beginnt. Hinzukommend gibt sich keine gerne her, denn das gehört sich nicht. Nutten verurteilen wir, weil sie Geld für Sex nehmen, aber es wäre schon schön, wenn das Tinder Date heute Abend wenigstens vorher ins Kino oder schick zum Essen einlädt. Vielleicht noch ein paar teure Drinks und die Taxi-Fahrt dazu. 

"Ab in sein Bett. Jede hat ihren Preis". 

Auch hier spreche ich wieder nur von einer Kategorie Frau. Über die Jahre ist mir das immer wieder aufgefallen, wenn ich eingehende Diskussionen über das Thema Prostitution oder Escort geführt habe. Die gleichen Frauen, die Prostituierte als Huren/Nutten verurteilen, verlangen im gleichen Atemzug ein Date der Extraklasse und Hollywood-Klischees am laufenden Band. Yeah. Kostet. 

Denkt mal drüber nach. 



Beim männlichen Teil der Schöpfung ist mir hingegen immer wieder aufgefallen, wie viel Doppelmoral auch hier im Spiel ist. Die aktuelle Affäre sollte möglichst hemmungslos, verfügbar aber dennoch entspannt sein und keine Besitzansprüche stellen. Hierfür eignet sich natürlich besser eine Frau, die es mit ihrer eigenen Sexualmoral nicht allzu eng sieht. Diese ist wiederum beim Karneval der maskierten Gelüste – und auf Tinder – schwer zu entlarven. Freundinnen-Material ist sie aber demnach noch lange nicht. Eine (un)schöne Aussage, die ich selbst immer wieder zu hören bekam.

"Für lockeren Sex? Klasse! Als Freundin? Lieber nicht."

Durch die Blume lautet die Kernaussage dieser Botschaft doch: Eine offene und lockere Sexualmoral macht dich zu einer Schlampe. Zumindest nicht zu der Frau, die Mann an seiner Seite haben oder seiner Familie/Freunden präsentieren möchte. Na ja, ich bin ja eigentlich der Überzeugung, dass es hierbei viel mehr darum geht, dass die Männerwelt Angst vor sexuell befreiten Frauen hat, denn diese Frauen sind mächtig und geben sich nicht so schnell befriedigt – im wahrsten Sinne des Wortes. Paradox, wenn man bedenkt, dass in der Welt der Dating Apps eben genau nach diesen Frauen gesucht wird. 

Außerdem kann ich die Aussage „Boah meine Ex-Freundin war voll die Bitch und jetzt kann ich nie wieder wirklich lieben und bin total bindungsgestört.“ nicht mehr hören. Was ein Abturner. Das Einzige was ich an dieser Stelle raus höre ist Folgendes: „Ich bin unreflektiert, ich schiebe alles auf andere, ich befasse mich nicht mit meinen Gefühlen und ich will ewig verletzt und trotzig bleiben. Wuäh.“ Damit die eigene Rumhurerei und Rastlosigkeit zu erklären ist halt einfach nur einfach. Mehr nicht. Das lässt einen übrigens auch nicht besonders unabhängig und verrucht wirken – im Gegenteil. Aber das nur nebenbei. Es wirkt bemitleidenswert. Mehr nicht. 

Ja okay, das klingt vielleicht alles jetzt etwas hart. Man weiß schließlich einfach nicht mehr wie man sich nun verhalten soll. Diese ganzen Erwartungen, Ängste, Klischees, Stereotypen, sozialer Druck, Erfahrungen… 

"Macht euch frei!"

Gerade bei Dating Apps würde es der anonyme Erstkontakt (Ein Foto stellt noch keine Bindung her; ein Swipe auch nicht) auch Frauen ermöglichen, mal etwas aus sich herauszukommen und klar zu formulieren, warum sie diese App eigentlich genau benutzen. Auch ist es nicht besonders spannend, jemandem alles aus der Nase ziehen zu müssen und jeden Vorschlag mit „Mir egal. Mir gleich. Wie du magst. Entscheid du.“ kommentiert zu bekommen. Das ist ermüdend und wenig interessant. Lasst euch nicht so lange bitten. Formuliert jedoch eine klare Bitte, oder ein Bedürfnis. Ich muss zugeben, dass ich über die Jahre ein klein wenig Verständnis für den vom Dating-Life enttäuschten Teil der Männerwelt entwickelt habe. Natürlich ist es frustrierend, wenn man über Tage oder Wochen versucht eine Dame davon zu überzeugen, mit einem ins Bett zu gehen; Interesse heuchelt; Geschenke macht; Komplimente ausspricht; sie umwirbt… und dann kriegt man am Ende eventuell doch noch einen Korb. Es ist kein schönes Gefühl, wenn man glaubt sich anpreisen zu müssen, um seinem Gegenüber davon zu überzeugen, dass es sich eventuell lohnen könnte mal kurz zusammen einen Blick unter die Bettdecke zu werfen. Alle wollen sich doch letztlich nur gut und gewollt fühlen. Oder nicht? 

Die Sicht der Frau darf an dieser Stelle auch nicht außer Acht gelassen werden. Es ist ebenso ermüdend, die immer wiederkehrenden schlechten, respektlosen, oberflächlichen, dämlichen, Sprüche zu hören oder auf sein Aussehen reduziert zu werden. Ständiges erstaunen, wenn der Herr dann realisiert, dass unter der hübschen Hülle auch ein eigenständiges Wesen steckt. Ja! Ehrlich gesagt kotze ich wahrscheinlich das nächste Mal im Strahl, wenn ich noch einmal die Antwort bekomme „Oha, nicht nur schön, sondern auch noch intelligent. Gefährlich!“ Wieso sprechen wir gutaussehenden Menschen gerne ihre Intelligenz ab, bzw. erst nachträglich zu?! Neid. Nichts anders. Wieso soll die/der beides haben? Ungerecht. Außerdem freut sie sich doch bestimmt, wenn ich ihre Intelligenz lobe und noch einmal hervorhebe. Das wirkt einfach nur überheblich Jungs, mehr nicht!

Zurück zum Thema: Das Ping Pong der Frustrationen lässt sich mittels OkCupid, Tinder, Lovoo und wie sie alle heißen ausgesprochen anschaulich darstellen. Eigentlich wollen alle das gleiche, aber alle bekommen etwas anderes. Mit wie vielen Frauen habe ich gesprochen, die eigentlich ein großes Verlangen haben, aber ein ebenso großes Problem damit, sich weder öffnen noch fallen lassen zu können. Das liegt u.a. daran, dass ihnen immer vermittelt wurde, sie müssten mit sich und vor allem ihrer Vagina unglaublich vorsichtig umgehen und ihre Lust immer lieber verstecken, als zu präsentieren. Im Alltag Feministin, im Bett die eiserne Jungfer. Schwierig. 



Wie würde der Paarungstanz wohl von statten gehen, wenn jeder zur Abwechslung mal offenkundig seine Vorlieben, Interessen, Intentionen bei der Suche und Grenzen ausspricht? Wäre das nicht einfach ehrlich und authentisch? Ohne Rücksicht darauf, ob es vielleicht zu nuttig oder, im Gegenteil, vielleicht sogar zu romantisch klingen könnte. Einfach mal machen. Weniger rumlabern, mehr vögeln. Ohne große Erwartungen ins Gespräch einsteigen; zum Treffen erscheinen. 

Und was ist, wenn ich dann enttäuscht werde? Ja, okay. Kein Weltuntergang…

Überrascht werden kann man übrigens auch. 


Nadine Primo schaut in die Ferne, gekleidet mit einem roten Holzfällerhemd vor einem dunklen Hintergrund.
Autor*in: Nadine Primo
NADINE studierte nach dem Abitur an der Universität in Bonn Romanistik (B.A.), Internationale Geschichte der Neuzeit (M.A.). Mittlerweile lebt sie in Berlin und ist selbstständig als freie Autorin, Speakerin und Model tätig. Auf ihrem Blog (nadine-primo.com) und Instagram (nadine.primo) teilt sie persönliche Erlebnisse aus ihrem Alltag als bisexuelle Frau sowie Vertreterin der LGBTQ-Szene und spricht über alternative Beziehungskonzepte, anhaltende Ungerechtigkeiten im Patriarchat und die gesellschaftliche Rezeption von Bisexualität. Mehr hierzu könnt ihr zudem in ihrer Kolumne „bi happy“ lesen, die monatlich im Beziehungsweise_magazin erscheint. Als Speakerin könnt ihr sie in verschiedenen Podcasts, oder ihrem eigenem Sex-Podcast zusammen mit Ben für Eis.de (INTIM), und bei kleineren TV-Auftritten (Paula kommt!) dazu sprechen hören.

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