Der Plan mit einem Brief

Am Beginn der Reise in ein polyamores Partnerschaftsmodell sind viele Hürden zu überwinden. Eine davon ist es, neue Menschen anzusprechen, obwohl der Rahmen in der Situation vielleicht gerade unpassend erscheint.
Handgeschriebener Brief

Folgend werden die persönlichen Erfahrungen und Meinungen unseres Autors writertype wiedergegeben...

Im Sommer des Jahres, in dem meine Frau und ich uns entschlossen hatten, unsere Partnerschaft zu öffnen, machten wir Inselurlaub an der Nordsee. Es war ein sehr warmer Sommer mit wenig Regen. Ich glaube, in diesem Urlaub hatten wir sogar gar keinen Regen. Und so verbrachten wir fast die gesamte Zeit draußen, waren sehr viel mit dem Fahrrad unterwegs und sahen eine Menge anderer Menschen.

Meine Frau war die erste gewesen, die einen Kontakt außerhalb unserer Ehe hatte, mit starken Gefühlen. Ich war noch dabei, mich an die neue Situation zu gewöhnen, meine Augen wieder für andere Menschen zu öffnen. Und so saßen wir an einem Tag dieses Urlaubs in einem Café, tranken Kaffee und kümmerten uns um die Bedürfnisse unserer Kinder. Recht schnell fiel mir eine Frau an einem Nebentisch auf, die dort mit einem Jungen saß. Wahrscheinlich ihr Sohn, mit dem zusammen sie ein Stück Kuchen aß und Kakao oder Kaffee trank.

Sie hatte ein liebes, interessantes Gesicht. Und von ihr ging eine Ausstrahlung aus, die mich in ihren Bann zog. Ihre ganze Erscheinung nahm mich ein. Während unseres Besuches in diesem Café, es war bestimmt eine Stunde, schaute ich immer wieder zu ihr herüber und suchte den Blickkontakt. Ich hatte den Eindruck, dass immer wieder auch einer da war, wenn auch ein eher schüchterner. Am liebsten wäre ich aufgestanden, zu ihr gegangen und hätte sie angesprochen. Doch ich war mit Frau und Kindern unterwegs, und sie auch mit einem Kind. Was hätte ich da zu ihr sagen sollen? Also ließ ich es bleiben, bereute es aber schon, als wir das Café verließen.



Am Abend, als wir alle Kinder im Bett und es uns gemütlich gemacht hatten, erzählte ich meiner Frau von der Begebenheit. Davon, dass dieser Blickkontakt entstand, von meiner Aufregung darüber, meinen Gedanken, Ideen und der Frustration, als der Moment in dem Café schließlich vorüber war. Ich erzählte ihr von dem Interesse, das diese Frau in mir geweckt hatte und von meinem, zugegebenermaßen recht unrealistischem Wunsch, sie beim nächsten Mal tatsächlich anzusprechen. Das Problem bei der ganzen Angelegenheit war allerdings nicht nur die äußerst geringe Wahrscheinlichkeit, diese Frau in der verbleibenden Zeit unseres Urlaubs nochmals zur selben Zeit in einem Café anzutreffen, sondern dann einen Weg zu finden, ein Gespräch mit ihr zu beginnen. Welcher Familienvater steht denn von seinem Tisch mit Frau und Kindern auf, um eine vielleicht noch nicht einmal alleinerziehende Frau, die ihr Kind dabei hat, anzusprechen und nach ihrer Nummer zu fragen? Das wäre möglicherweise sehr schräg gewesen.

Junge Frau allein im Cafè am Meer
Doch dann kam mir eine Idee. Ein Brief. Mein Plan war, ihr einen kurzen Brief zu schreiben, in dem im Prinzip alles erklärt war. Diesen Brief wollte ich ständig bei mir tragen, um ihn bei der ersten Gelegenheit an sie zu übergeben.

Also schrieb ich einen Brief. Darin stand, dass ich sie an jenem Tag in diesem einen Café gesehen hatte, zusammen mit ihrem Sohn, dass mir unser Blickkontakt in Erinnerung geblieben war, dass sie einen bleibenden Eindruck bei mir hinterlassen hatte, dass ich mir wünschte, sie wiederzusehen, um ihr diesen Brief mit meiner Telefonnummer zu geben und dass ich diesen Brief für den Rest des Urlaubs bei mir tragen würde, um ihn - mit viel Glück - bei einem zufälligen Aufeinandertreffen an sie übergeben zu können.

Den Brief las ich meiner Frau vor, schliff mit ihr zusammen an ein paar Formulierungen und schrieb ihn dann noch einmal sauber ab. Auf ein kleineres Format zusammengefaltet trug ich ihn dann tatsächlich an jedem folgenden Tag des Urlaubs in einer Tasche meiner Kleidung. Und ich hielt Ausschau nach ihr. Tausende Touristen waren auf der Insel; ich blickte in unzählige Gesichter. Nach ein paar Tagen wurde ich unsicher, ob ich sie wiederfinden würde. Eigentlich tendierte ich immer stärker zu der Annahme, dass sie ihren Urlaub schon beendet haben musste und abgereist war. Langsam hörte ich auch auf, mir zu überlegen, in welche Cafés sie mit ihrem Kind gehen könnte, die auch zu unseren Bedürfnissen in dem jeweiligen Moment gepasst hätten, damit es ein zufälliges Wiedersehen hätte geben könnte. Es brachte mich aber alles nicht voran. Gedanklich hatte ich schon aufgegeben, und der Urlaub war für uns ohnehin in wenigen Tagen zu Ende.

An einem dieser letzten Tage, schließlich, war ich wieder mit dem Fahrrad unterwegs, um Einkäufe zu machen. Für den Rückweg wählte ich einen großen Umweg, der an der Strandpromenade entlangführte. Dort traf man fast zu jeder Tageszeit Menschenmassen an, in denen ich unterbewusst doch noch nach ihr suchte.



Ich fuhr die gesamte Promenade ab und bog am Ende in eine Straße ein, die mich zu unserer Unterkunft führen sollte. Sie war etwas abschüssig, so dass ich mein Rad, meine Gedanken und meine Motivation ein gutes Stück bergab rollen lassen konnte. Bevor ich abbiegen musste, war ein Bahnübergang zu überqueren. Dort kam mir eine Gruppe von Radfahrenden entgegen, die ich nur nebenbei aus dem Augenwinkel betrachtete. 

Plötzlich stockte ich und bremste mein Fahrrad scharf ab. Denn da war sie. Ich war mir sicher. Ich hatte sie und den Jungen gesehen, beide auf Rädern, beide mit Helm. Aber, sie waren es. Da war ich mir wirklich sicher. 

Also drehte ich um und trat kräftig in die Pedale. Bergauf war es nicht ganz leicht, ihren Vorsprung aufzuholen. Nur, sobald sie die Promenade erreicht hätten, wären sie mir aus den Augen geraten. Trotz der Steigung, die ich kurz zuvor noch heruntergerollt war, erreichte ich sie schnell, überholte und bat sie, anzuhalten.

Ich stellte mich nicht einmal vor, zückte den Brief aus meiner Tasche, sagte, dass ich hier etwas für sie hätte, übergab das Papier. Ich wollte sie vor ihrem Kind nicht in eine allzu merkwürdige Situation bringen. Deshalb schwang ich mich wieder auf mein Rad und fuhr davon.

Seither warte ich auf einen Anruf. Fast drei Jahre schon. Es ist nicht schlimm, denn in dem Brief schrieb ich ihr auch, dass sie ihn zumindest als Kompliment annehmen solle, selbst wenn sie kein Interesse hätte, mit mir in Kontakt zu treten. Mich macht es aber zufrieden, dass mein Plan mit dem Brief aufgegangen ist und ich ihr mitteilen konnte, was ich ihr mitteilen wollte. Und das ist auch schon etwas wert. 
Autor writertype
Autor*in: writertype

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